Rundfunkschaden

In der Begründung zum 15.Rundfunkänderungsstaatsvertrag auf Seite Zwei die Rede davon ist, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk „einen wichtigen Beitrag zur Integration und Teilhabe an demokratischen, kulturellen und wirtschaftlichen Prozessen” leistet. Ein Kläger hat mir seine Aufarbeitung zur Veröffentlichung zukommen lassen, in welcher er nachfolgend die Schäden aufzeigt, die der Rundfunk anrichten kann. Vielleicht sollte man daher lieber auf den Beitrag der Sendeanstalten verzichten, den eigenen Beitrag sinnvoller investieren und sich des eigenen Verstandes bedienen.

Beitrag für die Demokratie?

Die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung dokumentiert zwischen 1992 und 2012 bei der durchschnittlichen täglichen Sehdauer von überdreijährigen Personen einen Anstieg von 158 auf 222 Minuten, eine Steigerung um mehr als 40%. Damit ist Fernsehen die Freizeitbeschäftigung Nummer eins in Deutschland. Mehr als 24 Stunden pro Woche verbringt der Bundesbürger vor dem Gerät. Wie wirkt sich das auf seine Teilhabe an demokratischen Prozessen aus?

In den letzen 20 Jahren fanden sechs Bundestagswahlen statt. Die Wahlbeteiligung 1994 lag bei 79%, 2013 nur noch bei 71,5%. Bei Landtagswahlen sinken die Wahlbeteiligungen ebenfalls kontinuierlich: In NRW von 1995 zu 2012 von 64% auf 59,6%, in Bayern von 1994 zu 2008 von 67,8% auf 58,1%, in Berlin von 1995 zu 2011 von 68,6% auf 60,2% usw. Ob West ob Ost, ob Süd ob Nord, ob Flächen- oder Stadtstaat: die Wahlbeteiligungen gehen zurück. Den Negativrekord hält Sachsen-Anhalt mit 44,4% im Jahr 2006.

Wesentlich gravierender ist, dass die Zahl der Parteimitglieder, also der politisch wirklich aktiven Bundesbürger, rapide zurück geht. Die im Bundestag vertretenen Parteien hatten nach einer Erhebung von Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin Ende 1992 2.068.000 Mitglieder, bei der letzten Erhebung Ende 2012 waren es noch 1.284.000, ein Minus von knapp 38%. Die Zahlen sind in ihrem Negativtrend eindeutig. Von einem positiven Effekt durch öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist nichts zu sehen, obwohl zwischen 1992 und 2002 laut 14. KEF-Bericht die Fernseh-Sendeminuten aller öffentlich-rechtlichen Kanäle von knapp 3,4 Mio. auf 10 Mio. stiegen.

Man könnte argumentieren, dass die Sender Schlimmeres verhüten. Nur betrachtet man die Kommunikationsform des Mediums Fernsehen, ergibt sich eine ganz andere logische Schlussfolgerung: Fernsehen ist ein Medium, das dem Empfänger nur eine passive Rolle lässt. Seine einzige aktive Entscheidung ist die Wahl des Kanals. Um zu verhindern, dass der Zuschauer umschaltet, darf Fernsehen nicht langweilen und nicht schwierig sein. Das bringt eine Oberflächlichkeit mit sich, eine Konzentration auf Unterhaltung. Oberflächlichkeit in der politischen Berichterstattung lenkt den Fokus auf Personen statt auf zu erklärende Sachthemen, Unterhaltung in der politischen Berichterstattung versucht der Politik einen Showcharakter überzustülpen, am einfachsten zu sehen bei den Talk-Shows. Wenn Politik im Fernsehen wie alles Andere unterhalten muss, warum sollte ein Bürger dadurch zu politischer Aktivität angeregt werden? Wählen gehen ist kein unterhaltsamer Akt, politische Arbeit in Parteien eher langweilig oder frustrierend. Da bleibt der Bürger, wie die Zahlen zeigen, lieber der gewohnten Zuschauerrolle treu und lässt sich unterhalten. Die sinkenden Zahlen bei Wahlbeteiligungen und Parteienmitgliedschaften werden also durch das Fernsehen mindestens mit verursacht, weil dieses Medium die Politik wie alles Andere dem Zwang zur Unterhaltung unterwirft.

Dass die wahre Stärke des Fernsehens die Unterhaltung ist und es tatsächlich seine Zuschauer damit aktivieren kann, lässt sich auf einem anderen Gebiet zeigen.

Im Jahr 1988 gingen die TV-Rechte für die Fußball-Bundesliga an den Privatsender RTL. Die Fußballberichterstattung wurde in eine Show namens Anpfiff integriert und statt nur von drei Spielen wie bei der Sportschau wurde von allen Spielen des Tages Berichte gezeigt. Das sollte sich auch nicht mehr ändern, als danach SAT.1 die Rechte übernahm und sie 2003 wieder bei der ARD landeten. Inzwischen ist die Berichterstattung über Fußball derart ausgeweitet, dass es fast unmöglich ist, einen Fernsehtag ohne Fußball zu erleben. Nachdem die Zuschauerzahlen während der Sportschauzeiten nach einem Zwischenhoch in den 70er Jahren beständig sanken, führte die allumfassende Berichterstattung nicht zur Übersättigung des Publikums, sondern mehr unterhaltsam dargebotener Fußball im Fernsehen bedeutete mehr Zuschauer in den Stadien. In der Saison 1992/93 besuchten 7,4 Mio. Menschen die Spiele der ersten Bundesliga. 2002/2003 waren es bereits 9,8 Mio. und 2011/12 13,8 Mio. Egal welcher Sender die Bundesliga zeigte, die Zuschauerzahlen stiegen.

Fernsehen ist also in der Lage, die Massen zu bewegen - wenn es um Show und Unterhaltung geht. Wenn es um die demokratische Teilhabe der Bürger geht, bedeutet mehr Fernsehen mehr Gleichgültigkeit gegenüber politischen Themen. Fernsehen, ob privat oder öffentlich-rechtlich, schadet der Demokratie.

Beitrag für die Gesellschaft?

Vollständig ignoriert wird vom Gesetzgeber, dass Fernsehen negative gesundheitliche und psychische Folgen hat. Am schwerwiegendsten sind hier Kinder betroffen, die doch eigentlich in besonderer Weise den Schutz des Gesetzgebers bräuchten. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien schreibt auf ihrer Website:

„Fachleute raten davon ab, Kinder im Alter von weniger als 3 Jahren fernsehen zu lassen. Bei unter Dreijährigen kann Fernsehen bleibende Schäden verursachen.”

Manfred Spitzer, Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm, schreibt dazu in „Vorsicht Bildschirm!” (Ernst Klett Verlag, Stuttgart 2005, S. 80):

„Für ein sich entwickelndes Gehirn, das überhaupt erst dabei ist, Objekterfahrungen auszubilden, sind Bildschirme sehr wenig hilfreich. Sie erfüllen - im Gegenteil - dessen Anforderungen an einen regelhaften Input, bei dem das Sehen zum Hören passt, nur sehr schlecht. Bildschirm-Erfahrungen stellen damit eine extreme Verarmung der Erfahrungen des kleinen Kindes dar. Von der Tatsache, dass am Bildschirm die Tiefendimension fehlt, dass man nichts anfassen kann und schon gar nichts riechen oder schmecken, einmal ganz abgesehen.”

Statt Eltern auf die Gefahr des Fernsehens für Kleinkinder hinzuweisen, konkurrieren öffentlich-rechtliche und private Sender mit speziellen Programmen um die Gunst von Kindern.

Dass der durchschnittlich mehrstündige tägliche Fernsehkonsum verglichen mit einer körperlich aktiven Freizeitgestaltung negative körperliche Folgen haben muss, dafür braucht es nur den gesunden Menschenverstand. Trotzdem haben Wissenschaftler sich seit Jahrzehnten bemüht, die Zusammenhänge durch Studien nachzuweisen.

Besonders betroffen sind hier wieder Kinder:
„Verbringen Vorschulkinder mehr als zwei Stunden vor elektronischen Bildschirmmedien, dann erhöht sich ihr relatives Risiko, übergewichtig zu werden, um 70%.” (Kalies u.a., Übergewicht bei Vorschulkindern, Kinderärztliche Praxis 4:227-234, zitiert nach Manfred Spitzer, a.a.O., S. 25)

Manfred Spitzer fasst Dutzende von Studien aus dem In- und Ausland so zusammen (a.a.O., S. 48):
„Fernsehen führt dosisabhängig zu Übergewicht. Der Effekt ist auch dann noch vorhanden, wenn man andere Faktoren herausrechnet, und die Richtung der Verursachung ist eindeutig. [...] Studien zu den Auswirkungen des Fernsehkonsums in der Kindheit auf Übergewicht und weitere Risikofaktoren zeigen klare Zusammenhänge sowie eine Dosis-Wirkungsbeziehung: Je mehr ferngesehen wird, desto größer sind die ungünstigen Auswirkungen auf die Gesundheit der Kinder und der späteren Erwachsenen.”

Auch auf die Schulleistungen von Schülern wirkt sich das Fernsehen negativ aus. Hier seien für den deutschen Sprachraum die Untersuchungen von Marco Ennemoser (Der Einfluss des Fernsehens auf die Entwicklung von Lesekompetenz - eine Längsschnittstudie vom Vorschulalter bis zur dritten Klasse, Hamburg 2003) sowie Myrtek und Scharff (Fernsehen, Schule und Verhalten. Untersuchungen zur emotionalen Beanspruchung von Schülern, Huber 2000) erwähnt. Beide kommen zu dem Schluss, dass vor allem die Leistungen in Deutsch, speziell die Lesekompetenz, unter dem TV-Konsum leidet. Das bedeutet, fernsehen, egal ob öffentlich-rechtlicher oder privater Couleur, verschlechtert die Zukunftschancen von Kindern.

Es ist eine perverse Verdrehung von Notwendigkeiten, wenn Schulen und Kindergärten Abgaben an TV-Anstalten zu leisten haben. In einem Land, in dem Politiker einigermaßen bei Verstand wären, müssten Fernsehanstalten an Schulen und Kindergärten Abgaben zahlen und nicht anders herum.

Es gibt eine weitere negative Folge des zunehmenden Fernsehkonsums, die nicht nur Kinder betrifft. Diese negative Folge wird ignoriert oder geleugnet, sie ist für den Normalbürger auch schwer einzusehen, da er sich selbst nicht als betroffen glaubt. Der wissenschaftlich erforschte Wirkungszusammenhang ist jedoch fast so stark wie der vom Rauchen und Lungenkrebs, und bekanntlich erkrankt nicht jeder Raucher daran, er steigert nur seine Chancen erheblich. Die Rede ist vom Zusammenhang zwischen Gewaltdarstellungen im Fernsehen und realer Gewalt. Für Deutschland kann die im Auftrag des bayerischen Landtags von Prof. Dr. Helmut Lukesch und Mitarbeitern durchgeführte Untersuchung „Das Weltbild des Fernsehens: eine Untersuchung der Sendungsangebote öffentlich-rechtlicher und privater Sender in Deutschland” (Roderer Verlag, Regensburg 2004) als aktueller Stand angesehen werden (Zusammenfassung). Prof. Lukesch hat die zur Verfügung stehende Forschungsliteratur ausgewertet, die zum Zeitpunkt seiner Arbeit auf über 800 empirische Studien zum Thema Auswirkung von Mediengewalt angewachsen war. Sein Fazit (Seite 3):

„Orientiert an den vorliegenden Metaanalysen ergibt sich sowohl für den Film- und Fernsehbereich wie auch für den Bereich der Video- und Computerspiele ein konsistentes Ergebnis, das auf eine gewaltstimulierende Wirkung des Konsums solcher Medien hinweist.”

Bei zwei amerikanischen Metastudien (Hearold, A synthesis of 1043 effects of television social behaviour, Public Communication and Behaviour 1: 65-133, 1986 und Paik/Comstock, The effect of television violence on antisocial behaviour: a metaanalysis, Communication Research 21:516-546, 1994), die jeweils über 200 empirische Untersuchungen erfasst haben, wird die Effektstärke des TV-Konsums für gewalttätiges Verhalten laut Manfred Spitzer (a.a.O. S. 178) mit 0,3 angegeben. Die Effektstärke des Rauchens für Lungenkrebs liegt bei 0,37 (Manfred Spitzer, a.a.O. S. 182). Es werden große Anstrengungen unternommen, um Raucher von ihrem selbstschädigenden Tun abzuhalten. Das Fernsehen soll hingegen von jedem Bürger subventioniert werden!

Fazit

In der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts heißt es, dass die Rundfunkgebühr der Gesamtveranstaltung Rundfunk gilt. Daran hat sich durch die Ausweitung auf einen Beitrag nichts geändert. Es ist auch gleichgültig, welcher Art die Sender sind. Das Medium Fernsehen ist gesellschaftsschädigend, wie die hier vorgebrachten Fakten und wissenschaftlichen Untersuchungen zeigen. Fernsehen schädigt Kinder in ihrer Entwicklung, es ist Mitverursacher von Fettleibigkeit, es leistet seinen Teil zu einer gewalttätiger werdenden Gesellschaft und nicht zuletzt schadet es der demokratischen Teilhabe der Bürger durch eine Überversorgung mit leicht zugänglicher Ablenkung und Unterhaltung. Die Unterstützung dieses Mediums, das derart negative Auswirkungen hat, ist daher unzumutbar und mit Art. 4 GG nicht vereinbar.